Der Held/Die Heldin - Fluch oder Segen?

Wisst Ihr mehr über Mythologie, Philosophie, Religionen, Symbole, Mystik, Joseph Campbell etc., als Ihr in englischer Sprache ausdrücken könnt? Oder interessieren euch Themen, die speziell für den deutschen Sprachraum relevant sind? Für Beides ist das deutschsprachige Diskussionsforum der richtige Ort!

Moderator: Martin_Weyers

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Gerard
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Post by Gerard »

Joseph Capbell schreibt in sein Buch 'Mythen der Menschheit': "Vor der Einfuehrung des Christentums gab es in Europa vier mythologische Ueberlieferungen, die sich zu ihrer vollen Staerken entwicktelt hatten: das klassische Griechenland, die Roemer, die Kelten und die Germanen. Sie alle waren von etwas typisch Europaeischem gepraegt, das sonst nirgendwo auftritt, naemlich von der Achtung vor dem Individuum und seinen individuellen Weg." Die Gralslegenden (vor allem Parzival von Wolfram von Eschenbach) sind die Hoehepunkt darin. Am Hof des Koenigs Artur verweigern sich die Ritter als Gruppe aus zu ziehen, weil sie das als eine Schande sehen, und sie reiten jeder als Einzelne aus und gehen auf die Suche nach dem Gral. Das waere in die mythologie von das nahe und ferne Osten undenkbar, denn da herrscht das Gruppengefuehl. Sag mal die Wahl zwischen Kolletivismus oder Individualismus.
Oder: wer mit Guru's in Beruehrung kam, weiss das sie den Pfad kennen und wissen wo wir uns auf dem Pfad befinden. Die Ritter vom Westen gehen im Wald ohne Guru und gehen ein Weg der noch nie Einer gegangen ist. Das ist der Unterschied und das macht Europa aus. Gefaerlich aber frei koennte man fast sagen.

Frage: wenn wir uns den heutigen Individualismus anschauen im Westen, hat Campbell da noch immer recht oder ist es zu weit gegangen mit dem individualistischen Weg des Helden?

Uebrigens, 'gefaehrlich aber frei', koennte das auch der (oder ein?) grundsaetzliche Unterschied zwischen Mann und Frau sein? Der Eine eher Indiv., die Andere im grunde eher kollektiv orientiert?



Martin_Weyers
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Post by Martin_Weyers »

Hallo Enki,

schön wieder von Dir zu hören!

Zum Titel dieses Strangs: Ist es ein Fluch oder Segen, ein Held oder eine Heldin zu sein? Ich würde sagen: Weder noch! Der Held, wenn er Glück hat nicht vorher zu Scheitern, erhält irgendwann einen "Segen", den er dann zurückbringt in seine Gesellschaft. Die Heldenreise selbst ist oftmals mit viel Leid und Unglück verbunden. Es ist nicht unbedingt ein großer Spaß ein Held oder eine Heldin zu sein. Schließlich opfert sich der Held / die Heldin einem höheren Wert oder einer Aufgabe, oder einer Schicksalskraft, und diese Selbstopferung dürfte kaum je ohne Blessuren abgehen. Ich glaube, man kann sich nicht entchließen ein Held zu sein. Das wäre nur wieder eine Befriedigung unseres Ego: Bedeutend sein zu wollen. Die Heldenfahrt passiert einem, und man wird förmlich hineingestoßen, mit ungewissem Ausgang.

Oder zielt deine Frage eher darauf, ob der Individualismus ein Fluch oder Segen für unsere Kultur und unsere Gesellschaft ist?
On 2005-09-01 15:46, Enki wrote:
Frage: wenn wir uns den heutigen Individualismus anschauen im Westen, hat Campbell da noch immer recht oder ist es zu weit gegangen mit dem individualistischen Weg des Helden?
Ich glaube, dass man für (fast) alles was man gewinnt, etwas anderes opfert. Auch wird jede an sich gute Sache, sobald sie einmal in der Welt ist, früher oder später missbraucht werden. Wenn man sich in unseren westlichen Gesellschaften umschaut, gewinnt man leicht den Eindruck, dass Egoismus und Rücksichtlosigkeit über andere und positivere Aspekte des Individualismus dominieren. Schaut man sich jedoch in anderen Kulturen um, wird man leicht erkennen, dass es dort keineswegs besser zugeht. Die von dir zitierten antiken Gesellschaften haben ja immer nur einer elitären Schicht die Freiheiten eines selbstbestimmten Individuums zugestanden. Wir haben in unserer Gesellschaft heute individuelle Entfaltungsmöglichkeiten und einen Schutz des Individuums, wie es ihn in kaum einer anderen Gesellschaftsform gegeben haben dürfte. Unser Problem ist meines Erachtens eher, dass uns die Reife fehlt, unsere Chancen zu nutzen.
Uebrigens, 'gefaehrlich aber frei', koennte das auch der (oder ein?) grundsaetzliche Unterschied zwischen Mann und Frau sein? Der Eine eher Indiv., die Andere im grunde eher kollektiv orientiert?
Die Frauen, die ich kenne und mit denen ich befreundet bin, sind durchaus sehr individualistisch und haben eine starke Persönlichkeit. Trotz mancher Ungleichbehandlung haben Frauen in unserer Gesellschaft, wie es mir erscheint, bessere Möglichkeiten der Persönlichkeitsentfaltung als in den meisten anderen Kulturen. Mir ist klar, dass dies ein sehr pauschales Urteil darstellt. Gegenbeispiele sind willkommen!

Fluch oder Segen? Ich denke, ein Segen ist es jedenfalls, das Modell der Heldenreise als geeignetes psychologisches Instrument zur persönlichen Orientierung zu haben!



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<font size=-1>[ This Message was edited by: Martin_Weyers on 2005-09-03 12:45 ]</font>

Gerard
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Post by Gerard »

Hallo Martin.

Stimmt, es sind zwei Fragen. Am meisten bin ich neugierig nach die Meinungen von Leute ueber das Zweite.

Ich kenne auch viele Frauen wie du sie beschreibst. Wenn ich aber in die Geschichte schaue waren Maenner sehr da, und Fraen relativ 'unsichtbar'. Da kann man sich Fragen wo das her kommt. Es gibt viele Erklaerungen dafuer. Ich habe die Idee das es zu tun haben koennte met was die Amerikaner nennen: 'No risk, no pain, no gain'. Frauen haben eher Risiko's vermieden, wo Maenner das Abenteuer gesucht haben. Ein Held nimmt Risiko's. Kann dann eher Verlust und Probleme haben (wie dus sagst), aber gewinnt auch manchmal dabei. Und Der Held (meist ein Mann) ist immer ein Einzelgaenger. Habe ich es falsch wenn Frauen es da schwieriger haben und sich wohler (sicherer) fuehlen in Gruppen?

Ich frage mich noch immer ob 'Der Weg vom Helden' ein nicht allzu maennliches konzept ist. Wenn 'Ja', dann ist die Frage was das weibliche gleichwuerdige Konzept ist.

Ich habe den Babylonischen Mythos 'der Abstieg von Innana in die Unterwelt' gelesen und war sehr beeindruckt. Bin neugierig wer diesen Mythos auch kennt und was man davon haelt.



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Panta Rhei.

<font size=-1>[ This Message was edited by: Enki on 2005-09-04 13:29 ]</font>

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