Das Drama von Judas: kein Verraeter,sondern Gehilfe vom Held

Wisst Ihr mehr über Mythologie, Philosophie, Religionen, Symbole, Mystik, Joseph Campbell etc., als Ihr in englischer Sprache ausdrücken könnt? Oder interessieren euch Themen, die speziell für den deutschen Sprachraum relevant sind? Für Beides ist das deutschsprachige Diskussionsforum der richtige Ort!

Moderator: Martin_Weyers

Gerard
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Die Geschichte von Jesus von Nazareth in der Bibel passt genau in das Schema vom Helden.
Jeder, der mit der Bibel vertraut ist, weiss auch, dass Judas Rolle darin viel Fragen aufwirft.
Die kirchliche Tradition hat einen Verraeter und Betrueger aus ihm gemacht, auch wenn davon in der Bibel keine Rede ist. Da heisst es nur, dass er Jesus “auslieferte”. Dass er Jesus verriet mit einem Kuss sagt z.B. nichts. Dass war zu dieser Zeit die uebliche Weise des Begruessens.

Vor einiger Zeit wurde in Aegypten ein Dokument gefunden, das aus dem Jahr 180 nach Christus stammt. Wissenschaftler habben die Authentizitaet des Dokuments nun festgestellt.

Jesus sagt hier u.a. zu Judas:”Du wirst alle anderen Juenger uebertreffen. Du wirst den Menschen opfern, der mich “bekleidet”. Du bist der Leitstern. Hier sagt Er, dass Judas derjene sein wird, der beitragen wird an der Befreiung von Jesus aus seinem sterblichen Koerper. Jesus scheint hier zu sagen, dass Judas der Einzige ist, der ihn wirklich begreift. Hier sagt Jesus voraus, dass Judas spaeter eine essentielle Rolle spielen wird ( oder bestimmt er ihn dazu?) Auch ist hier zu sehen, dass Jesus sich selbst anders sah als die Apostel ihn sahen. Ostern zeigt, dass Judas Recht hat.


Dieses Dokument wirft ein total neues Licht auf die Rolle von Judas. Hier ist er nicht der Verraeter, sondern (in mythischen Thermen und Rollen ausgedrueckt) der Gehilfe vom Helden. In der Mythologie bekommt der Held oft einen Helfer. Die Aufgabe vom Gehilfen ist es, dem Helden wo moeglich zu helfen und ihm seinen Weg zu ermoeglichen. Weil er aber geistig noch nicht so weit ist wie der Held selber, muss er meistens sterben. Er vergegenwaertigt die Phase BEVOR der Held “er selbst” wurde und zurueckkehrt, kann/darf es selber aber nicht sein. Hier sehen wir auch, dass der Held seinen weltlichen Koerper ablegt und dass sein Ziel geistige Verwirklichung ist.

Vergessen wir in diesem Zusammenhang vor allem auch die essentielle Wichtigkeit des “Opfern” in alten Zeiten und Mythologien nicht. Goettern wird geopfert. Das hoechste Opfer, das der Mensch kennt, ist, sich selbst zu opfern.

Jedoch: so wie Jesus sich opfert, so opfert auch Judas sich. Vielleicht ist sein Los letztendlich noch abscheulicher als das von Jesus. Jesus ersteht zu Ostern auf und wird jahrhundertelang verherrlicht. Der Preis, den Judas bezahlt, ist hoch: a.) er stirbt einsam an Gewissensbissen und b.) bekommt er in der Geschichte fuer immer die Rolle des Betruegers und Verraeters anstelle die des Helfers.

Womit wieder einmal gezeigt wird wie gut Campbell mit seiner Interpretation den Weg und das Ziel des Helden gesehen hat.

Heute abend auf NGC TV-weltweit. Leider haben die Amerikaner wieder eine glatte und pathetische Show daraus gemacht, die dem Inhalt und der Bedeutung von dem, was gesagt wird, in europaeischen Augen nicht gerecht wird.

Oder…. Ist Judas selbst ein Held, so wie Campbell es gemeint hat? Nur einer der gescheitert ist in den Augen der Menschen, aber trotzdem…. Er hat getan was er tun musste. Das war SEIN Weg. Ist das erfolgreich sein in den Augen der Menschen wirklich ein Kriterium? Was meint ihr?

Sisyphus Laughs

SiCollier
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Post by SiCollier »

Schön, daß das Thema auch hier im deutschen Forum aufgegriffen wurde. Da ich jedoch diese Woche noch so eine Art Urlaub habe, komme ich erst nächste Woche dazu, mich mit der Thematik zu befassen. Dann mehr.

Vorab nur dies: ich habe den Bericht in der Zeitschrift „National Geographic - deutsche Ausgabe“ gelesen. Im Vergleich zur Ankündigung fand ich den Faktengehalt des Artikels etwas zu gering. Ich hatte mir mehr erwartet.

Gerard
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Danke, bin gespannt.


Sisyphus Laughs

steppenwolf
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Post by steppenwolf »

Hallo Gerard,
ich habe mich lange nicht mehr gemeldet. Es war ziemlich viel los bei mir, und eigentlich hatte ich Dir einen Kommentar zum Thema „Frauen“ versprochen. Mal sehen, wann ich dazu komme. Ich muss mich erst wieder im Forum einlesen, es ist ja einiges geschrieben wurden in letzter Zeit.

Als ersten kurzen Kommentar möchte ich bemerken, dass sich Deine Frage eigentlich wieder auf die Frage der Historizität Jesu (und damit des Judas) bezieht. Ein Archetyp, der seine Wirkung entfaltet, ist nicht falsch, nur weil er sich entwickelt hat oder sein historischer Kern bewusst verfälscht wurde.
Judas wird in der Bibel tatsächlich als Verräter dargestellt, zumindest in den beiden Übersetzungen, in denen ich nachgeschaut habe:
Matthäus 26:15-16
Ich will ihn euch verraten. Und sie boten ihm 30 Silberlinge. Und von da an suchte er Gelegenheit, dass er ihn verriete.
Matthäus 26:21 Und da sie aßen, sprach er: „Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.“
Matthäus 26:48 Und der Verräter hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt: Welchen ich küssen werde, der ist es, den greifet.“

Ich vermute, dass Du Dich mit „ein Dokument [...], das aus dem Jahr 180 nach Christus stammt“ auf die Oxyrhynchos-Papyri beziehst. Den zitierten Text kenne ich allerdings nicht. Ich denken aber, dass er einen anderen Judas beschreibt. Der, der als „Leitstern“ angesprochen wird, muss nicht notwendigerweise derselbe sein, den die Bibel beschreibt. Vielleicht beziehen sich die beiden Stellen auf dieselbe historische Gestalt, aber Judas ist nicht automatisch Leitstern, weil er Jesus auslieferte. Es könnte auch eine Verleumdungskampagne in der Tradition des Paulus sein, um die sektiererischen Anhänger des Judas in Misskredit zu bringen. Thomas ist auch nicht deshalb, der „der den Tod nicht schmeckte“, weil er zweifelte, wie die Bibel behauptet. Er war eine wichtige Gestalt in der Urchristenheit und wurde in der Bibel nur denunziert.

Es ist ein interessantes Phänomen, dass Gestalten, die ausserbiblischen und nicht-christlichen Schriften als bedeutungsvoll beschrieben werden, in der Bibel schlecht wegkommen. Thomas war der Zweifler, Petrus verleugnete Jesus und Judas verriet ihn. Der „Herrenbruder“ Jakobus wird als solcher nur an wenigen Stellen in der Bibel erwähnt, scheint aber die wichtigste Gestalt des Urchristentums überhaupt zu sein.

Ich möchte aber nicht zu sehr in die Frage nach dem historischen Kern abschweifen. Wie gesagt: Der Archetyp des Verräters wirkt, ob historisch oder nicht. Dass Judas ein Zelot, ein aufständiger Rebell gegen Rom, war, der Jesus zum Handeln zwingen wollte, ist vielfach vermutet worden. Ihm kommt also bestenfalls der Archetyp des Versuchers zu, der auch an anderer Stelle in der Bibel erscheint. Was aber entsteht für die Gläubigen aus dieser Wirkung? Soviel ich weiß, ist Pontius Pilatus in der orthodoxen Kirche ein Heiliger, da er sich als zuverlässiger Protagonist des göttlichen Dramas erwiesen hat. Die Frage ist für mich wieder einmal: Hat die Tatsache, dass die Kirche auf einen Feigling gebaut wurde, ein Verräter zum Helfer wurde und ein grausamer Despot zum Heiligen, einen Einfluss auf die Ausübung des Glaubens gehabt? Dieselbe Frage habe ich ja schon anderswo im Zusammenhang mit Menschenopfer und kollektivem Kannibalismus gestellt.




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steppenwolf
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Post by steppenwolf »

Neulich kam auf 3Sat eine Sendung über das Judas-Evangelium. Gestern habe ich sie mir angeschaut. In diesem Evangelium wird Judas tatsächlich als der Helfer Jesu beschrieben, weil er ihn auslieferte. Erklärt wurde dies mit der gnostischen Herkunft der Schrift. In der Gnosis wurde der Gott des Alten Testaments als der, der die materielle Welt schuf und der des Neuen Testaments als der geistige Gott angesehen. Die Kirche wurde als gefangen in der materiellen Welt gesehen. Es ging also um eine bewusste Opposition, „die Umwertung aller Werte“, wie Nietzsche sagen würde.
Dennoch bleibt der Widerspruch in der Bibel bemerkenswert, dass Jesus diesen Jünger ausgewählt hat und beim Abendmahl schon von seinem Verrat wusste. Seine Wirkung über die Zeiten ist aber eine negative. Wie gesagt: Ein Archetyp, der seine Wirkung entfaltet, ist nicht falsch, nur weil er sich entwickelt hat oder sein historischer Kern bewusst verfälscht wurde. Die Wirkung, die er entfaltet, kann aber eine sehr widersprüchliche sein. Ich rede hier nicht von einem logischen Widerspruch, den man in Mythen immer findet, sondern von einem gefühlsmäßigen, intuitiv gespürten Widerspruch.
Kann dieser und viele andere Widersprüche den Konflikt zwischen vordergründiger Botschaft und Ausübung des Glaubens erklären?




steppenwolf
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Post by steppenwolf »

Als Ergänzung wollte ich noch das 13. Kapitel des Johannes-Evangeliums zitieren, in dem Jesus den Judas bewusst auswählt und "aufstachelt".

Jesus und der Verräter

21 Als Jesus das gesagt hatte, wurde er betrübt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. 22 Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. 23 Es war aber einer unter seinen Jüngern, den Jesus liebhatte, der lag bei Tisch an der Brust Jesu. 24 Dem winkte Simon Petrus, daß er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. 25 Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? 26 Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. 27 Und als der den Bissen nahm, fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! 28 Aber niemand am Tisch wußte, wozu er ihm das sagte. 29 Einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder daß er den Armen etwas geben sollte. 30 Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.


steppenwolf
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Post by steppenwolf »

Beim nochmaligen Durchlesen fällt mir auf, dass die Passage eine Umkehrung der gängigen Mythologie des Abendmahls ist.
In Vertretung Jesu und ritueller Wiederholung des Abendmahls reinigt der Priester durch die Gabe der Hostie den Sünder, auf dass der Heilige Geist in ihn fahre. Beim originalen Abendmahl reichte Jesus das Brot dem Jünger, worauf der Satan in ihn fuhr. Normalerweise trieb Jesus bekanntlich die Dämonen aus. Hier spricht er im Namen des Satan „Was du tust, das tue bald!“ Und es war Nacht...

Kennt jemand eine theologische oder – besser noch – eigene Deutung dieser Stelle?




Gerard
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Post by Gerard »


Judas wird in der Bibel tatsächlich als Verräter dargestellt, zumindest in den beiden Übersetzungen, in denen ich nachgeschaut habe:
Matthäus 26:15-16
Ich will ihn euch verraten. Und sie boten ihm 30 Silberlinge. Und von da an suchte er Gelegenheit, dass er ihn verriete.
Matthäus 26:21 Und da sie aßen, sprach er: „Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.“ Usw.

**** In mein Holl. Bibel steht es genau so. ****


Ich denke aber, dass er einen anderen Judas beschreibt. Der, der als „Leitstern“ angesprochen wird, muss nicht notwendigerweise derselbe sein, den die Bibel beschreibt.

**** Das ist oft ein Problem in der Bibel: welcher Maria, welcher Jakobus, welcher Johannes, usw. Ich glaub das laesst sich nicht wirklich mehr feststellen. Meiner Meinung nach darf man nie vergessen das sowohl die Tekste als die Reihenfolge und die Auswahl von alles was ja/nein in der Bibel steht, ganz oft eingegeben wurde von politisch-strategische Zwecken von Kaiser usw und nicht sosehr von Religions- und/oder Gottessucher. Also allzuviel Wert gebe ich an viele Tekste und Ausgangspunkte in der Bibel nicht. Nur schon der Kaiser Konstantin der Grosse (312 n Chr) war schon ein ganz merkwuerdiger 'Fall'. Ganz interessante Geschichte wie/wo/wann/was und warum der heutige Bibel so gekommen ist wie sie jetzt ist. Anscheinend wurdem ziemlich demokratisch bestimmte ganz wichtige Entscheidungen getroffen. Und Demokratie ist schon schoen aber fuer Gottes-sachen schient mir das nicht das richtige 'Entscheidings-modell.' ****


Es ist ein interessantes Phänomen, dass Gestalten, die ausserbiblischen und nicht-christlichen Schriften als bedeutungsvoll beschrieben werden, in der Bibel schlecht wegkommen. Thomas war der Zweifler, Petrus verleugnete Jesus und Judas verriet ihn. Der „Herrenbruder“ Jakobus wird als solcher nur an wenigen Stellen in der Bibel erwähnt, scheint aber die wichtigste Gestalt des Urchristentums überhaupt zu sein.

**** Das habe ich auch verstanden, aber warscheinlich ein Konkurrent von Petrus, also deshalb ist Jakobus mehr oder weniger von der Kirche 'weggeschaft', so wie vielleicht/warscheinlich Maria Magdalena und viele Anderen auch. ****

Ich möchte aber nicht zu sehr in die Frage nach dem historischen Kern abschweifen. Wie gesagt: Der Archetyp des Verräters wirkt, ob historisch oder nicht. Dass Judas ein Zelot, ein aufständiger Rebell gegen Rom, war, der Jesus zum Handeln zwingen wollte, ist vielfach vermutet worden. Ihm kommt also bestenfalls der Archetyp des Versuchers zu, der auch an anderer Stelle in der Bibel erscheint. Was aber entsteht für die Gläubigen aus dieser Wirkung? Soviel ich weiß, ist Pontius Pilatus in der orthodoxen Kirche ein Heiliger, da er sich als zuverlässiger Protagonist des göttlichen Dramas erwiesen hat. Die Frage ist für mich wieder einmal: Hat die Tatsache, dass die Kirche auf einen Feigling gebaut wurde, ein Verräter zum Helfer wurde und ein grausamer Despot zum Heiligen, einen Einfluss auf die Ausübung des Glaubens gehabt?

**** Ich glaube das hat damit zu tun das viele Christenen von die Roemer verfolgt und in Arena's abgeschlachtet wurden. Man war damals nicht zimperlich, um es mal so zu sagen. Es muss abscheulich gewesen sein, die Mengen und die Methoden. Wenn mann die Geschichte ueber die letzten Tagen von Jezus liest, faellt mir eind auf. Man gint sich unheimlich viel muehe Jezus so viel wie moeglich als Maertyrer dat zu stellen. Wirklich alles schlimme was ein Mensch passieren kann, passiert Ihm. Das kann kein Zufall sein. Ich glaube da hat man bewust komponiert um es fuer die Martyrer eine Identifikationsfigur (Maertyrer, aber als Trost schliessendlich Held) zu kreaieren als Trost und Hilfe. Und so funktioniert es eigentlich bis auf heute noch immer. In diesem Bild passen auch die 'Schwachheiten' von Petrus, usw. Nicht alle Maertyrer werden mit grosser Stolz und in den Tot eingegangen sein. Zweifel, Angst usw usw werden ganz bestimmet oft da gewesen sein. Da muss es ein Trost gewesen sein dat auch Petrus usw ihre 'Schwache' Momenten hatten. Nur 'Verraten' (des Glaubens!)war natuerlich schon schlecht. Deshalb hat man ein Judas gebraucht und 'gemacht', meiner Meinung nach. ****






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Sisyphus Laughs

Solitaire
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Post by Solitaire »

Ihr werft einige sehr interessante Überlegungen auf. Da kann man dann glatt mal fragen "was wäre Jesus ohne Judas gewesen?"

Wie wird denn eigentlich das Verhältnis Jesus-Judas in den Apokryphen beschrieben? Ich muss gestehen, ich habe die Apokryphen bislang noch nicht gelesen, es würde mich aber mal interessieren, wie in diesen Jesu Tod und Auferstehung beschrieben wird und auch das Verhältnis von Jesu speziell zu Judas, Petrus und Maria Magdalena.
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Solitaire
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Irgendwo habe ich auch einmal gelesen, dass sich Judas aufgehängt hat, das bringt auch noch eine interessante Komponente hinein: Jesus gekreuzigt, Petrus umgekehrt gekreuzigt und Judas erhängt sich, wollten da die beiden letzteren auch im Tode ihrem Herrn und Meister nacheifern? Oder war es ein Versuch der (Selbst)opferung, um auch darin wie Jesus das ewige Leben zu gewinnen?

Mich erinnert diese Selbstopferung spontan an Odin, der neun Tage und Nächte (also 3 x solange wie Jesus) in den Ästen von Yggdrasil hing und die Runen errang. Man muss quasi etwas von sich selbst opfern, um größere Weisheit/Initiation in höhere Mysterien zu erlangen.
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Martin_Weyers
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Post by Martin_Weyers »

On 2006-06-29 08:42, Solitaire wrote:
Irgendwo habe ich auch einmal gelesen, dass sich Judas aufgehängt hat, das bringt auch noch eine interessante Komponente hinein: Jesus gekreuzigt, Petrus umgekehrt gekreuzigt und Judas erhängt sich, wollten da die beiden letzteren auch im Tode ihrem Herrn und Meister nacheifern? Oder war es ein Versuch der (Selbst)opferung, um auch darin wie Jesus das ewige Leben zu gewinnen?

Mich erinnert diese Selbstopferung spontan an Odin, der neun Tage und Nächte (also 3 x solange wie Jesus) in den Ästen von Yggdrasil hing und die Runen errang. Man muss quasi etwas von sich selbst opfern, um größere Weisheit/Initiation in höhere Mysterien zu erlangen.


Ich denke, da hat es Odin besser gemacht, bedeutet die Initiation zum ewigen Leben doch (vermutlich auch laut Jesus!) keineswegs den physischen Tod zu wählen, sondern den "Tod" der psychischen Verknotungen unserer Ängste und Begierden zugunsten einer Identifikation mit dem ewigen Geist: Transformation statt Freitod -- zum Sterben ist dann immer noch genug Zeit!

Wie auch immer, was wirklich damals passiert ist, wissen wir nicht, und insofern eignen sich Figuren wie Judas oder Odin für die Bildung von allerlei Mythen, Legenden und Theologien -- Menschen werden zu historischen und dann zu mythischen Figuren, und regen auf vierlerlei Weise unser Vorstellungsvermögen an.

Solange man mythologische, tiefenpsychologische und theologische Deutung auseinanderzuhalten, und diese wiederum von Unterhaltung auf der einen Seite (Dan Brown) und historischer Forschung auf der anderen Seite zu trennen versteht, finde ich den kreativen Umgang mit neuen und alten Deutungen überaus anregend.

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Dr.Manhattan
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Post by Dr.Manhattan »

Nur das es dabei meist nicht bleibt und aus kreativem und auf Forschung basierendem Umgang mit dem Stoff ein äußerst undurchsichtiges Gewebe wird, was verstärkt durch pseudowissenschaftliche Dokus auf n24 oder was weiß ich wo noch mit zur allgemeinen Verunsicherung beiträgt.
Vor allem seit Dan Brown. An dieser Stelle sei bereits gesagt, dass ich die Sachen von Dan Brown echt ok finde und ich, obwohl Theologie studiert und auch für die Kirche tätig, rein gar nix gegen den Mann, seine Bücher und die dazu gehörigen Filme habe und er selbst am wenigsten dafür kann, wie unreflektiert in Medien und anderweitig mit seinen Büchern umgegangen wird.

Es fehlt an Auseinandersetzung mit der Thematik, die vielfach komplizierter ist, als es so allgemein vermutet wird.
Das erste Problem bei der Betrachtung z. B. der Person des Judas ist, dass man zunächst mal nur Infos in der Bibel findet. Die sind zudem noch äußerst spärlich. Judas taucht gerade lang genug auf um Jesus zu verraten, ihn auszuliefern, sich umzubringen und zack ist er wieder weg...

Und dann kommen die Infos üblicherweise meist aus der Einheitsübersetzung, die so schwammig und schlecht übersetzt ist, dass sie als seriöse Quelle einfach nicht ausreichend taugt. (Wer sich mit den Texten auseinander setzen will, sollte sich eine Synopse besorgen, wir hatte in der Ausbildung die "Synopse zum Münchener Neuen Testament" welche versucht, die Worte so gut es möglich ist auf deutsch widerzugeben, wie sie in den Urtexten bzw. in den ersten Latein- / Griechischübrsetzungen geschrieben wurden)

Des weiteren muß man auch die Entstehungsgeschichte und Sprachgewohnheiten der damaligen Zeit berücksichtigen (worauf auch Joseph Campbell in seinem Vorwort zu "Lebendiger Mythos" verweist).

Das Johannesevangelium bietet zu dem noch andere Punkte, die es als historische Quelle am ungeeignetsten machen. Da es als letztes der vier kanonischen Evangelien geschrieben wurde, nämlich ungefähr 90-100 Jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu, und auch starke Einflüsse von Gnosis und hellenistische Einflüsse aufweist, finde ich es eher schwierig mit Verweise auf Johannes zu argumentieren und ihn nahezu wörtlich zu nehmen (Witzigerweise macht die Kirche dass selbst äußerst oft, was mich ehrlich verblüfft und auch für mich nicht nachvollziehbar ist)

Meiner Meinung nach, ist das Markusevangelium dasjenige, was wohl am nächsten an den Geschehnissen um Jesus dran ist, da es zum einen einfach das Älteste ist, zum anderen Matthäus und Lukas als Quelle vorliegt.

Kurz noch ein Wort zu den apokryphen Evangelien. Diejenigen , die ich kenne, sind nett zu lesen aber stellenweise so hanebüchen, dass ich persönlich nichts mit ihnen anfangen kann. Bei Interesse kann man sich, z.B. das Buch "Die verbotenen Evangelien - Apokryphe Schriften" zulegen, wobei man aber auch nichts versäumt wenn man sie (die Apokryphen) nicht gelesen hat... Aber macht euch selbst ein Bild...
LG Dr.Manhattan :wink:

Dr.Manhattan
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Post by Dr.Manhattan »

Ich denke, da hat es Odin besser gemacht, bedeutet die Initiation zum ewigen Leben doch (vermutlich auch laut Jesus!) keineswegs den physischen Tod zu wählen, sondern den "Tod" der psychischen Verknotungen unserer Ängste und Begierden zugunsten einer Identifikation mit dem ewigen Geist: Transformation statt Freitod -- zum Sterben ist dann immer noch genug Zeit!

Wie auch immer, was wirklich damals passiert ist, wissen wir nicht, und insofern eignen sich Figuren wie Judas oder Odin für die Bildung von allerlei Mythen, Legenden und Theologien -- Menschen werden zu historischen und dann zu mythischen Figuren, und regen auf vierlerlei Weise unser Vorstellungsvermögen an.

Solange man mythologische, tiefenpsychologische und theologische Deutung auseinanderzuhalten, und diese wiederum von Unterhaltung auf der einen Seite (Dan Brown) und historischer Forschung auf der anderen Seite zu trennen versteht, finde ich den kreativen Umgang mit neuen und alten Deutungen überaus anregend.
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Da hast du recht.
Nur das es dabei meist nicht bleibt und aus kreativem und auf Forschung basierendem Umgang mit dem Stoff ein äußerst undurchsichtiges Gewebe wird, was verstärkt durch pseudowissenschaftliche Dokus auf n24 oder was weiß ich wo noch mit zur allgemeinen Verunsicherung beiträgt.
Vor allem seit Dan Brown. An dieser Stelle sei bereits gesagt, dass ich die Sachen von Dan Brown echt ok finde und ich, obwohl Theologie studiert und auch für die Kirche tätig, rein gar nix gegen den Mann, seine Bücher und die dazu gehörigen Filme habe und er selbst am wenigsten dafür kann, wie unreflektiert in Medien und anderweitig mit seinen Büchern umgegangen wird.

Es fehlt glaub ich generell an einer Auseinandersetzung mit der Thematik, die vielfach komplizierter ist, als es so allgemein vermutet und leider auch praktiziert wird.

Das erste Problem bei der Betrachtung z. B. der Person des Judas ist, dass man zunächst mal nur Infos in der Bibel findet. Die sind zudem noch äußerst spärlich. Judas taucht gerade lang genug auf um Jesus zu verraten, ihn auszuliefern, sich umzubringen und zack ist er wieder weg...

Und dann kommen die Infos üblicherweise meist aus der Einheitsübersetzung, die so schwammig und schlecht übersetzt ist, dass sie als seriöse Quelle einfach nicht ausreichend taugt. (Wer sich mit den Texten auseinander setzen will, sollte sich eine Synopse besorgen, wir hatte in der Ausbildung die "Synopse zum Münchener Neuen Testament" welche versucht, die Worte so gut es möglich ist auf deutsch widerzugeben, wie sie in den Urtexten bzw. in den ersten Latein- / Griechischübrsetzungen geschrieben wurden)

Des weiteren muß man auch die Entstehungsgeschichte und Sprachgewohnheiten der damaligen Zeit berücksichtigen (worauf auch Joseph Campbell in seinem Vorwort zu "Lebendiger Mythos" verweist).

Das bei manchen vorher bereits zitierte Johannesevangelium bietet zu dem noch andere Punkte, die es als historische Quelle am ungeeignetsten machen. Da es als letztes der vier kanonischen Evangelien geschrieben wurde, nämlich ungefähr 90-100 Jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu, und auch starke Einflüsse von Gnosis und hellenistische Einflüsse aufweist, finde ich es eher schwierig mit Verweise auf Johannes zu argumentieren und ihn nahezu wörtlich zu nehmen (Witzigerweise macht die Kirche dass selbst äußerst oft, was mich ehrlich verblüfft und auch für mich nicht nachvollziehbar ist)

Meiner Meinung nach, ist das Markusevangelium dasjenige, was wohl am nächsten an den Geschehnissen um Jesus dran ist, da es zum einen einfach das Älteste ist, zum anderen Matthäus und Lukas als Quelle vorliegt.

Kurz noch ein Wort zu den apokryphen Evangelien. Diejenigen , die ich kenne, sind nett zu lesen aber stellenweise so hanebüchen, dass ich persönlich nichts mit ihnen anfangen kann. Bei Interesse kann man sich, z.B. das Buch "Die verbotenen Evangelien - Apokryphe Schriften" zulegen, wobei man aber auch nichts versäumt wenn man sie (die Apokryphen) nicht gelesen hat... Aber macht euch selbst ein Bild...
LG Dr.Manhattan :wink:

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Dr.Manhattan wrote: Vor allem seit Dan Brown. An dieser Stelle sei bereits gesagt, dass ich die Sachen von Dan Brown echt ok finde und ich, obwohl Theologie studiert und auch für die Kirche tätig, rein gar nix gegen den Mann, seine Bücher und die dazu gehörigen Filme habe und er selbst am wenigsten dafür kann, wie unreflektiert in Medien und anderweitig mit seinen Büchern umgegangen wird.
Der hat mich immerhin dazu gebracht, mich mit der Thematik überhaupt auseinanderzusetzen.

Dr.Manhattan wrote: Und dann kommen die Infos üblicherweise meist aus der Einheitsübersetzung, die so schwammig und schlecht übersetzt ist, dass sie als seriöse Quelle einfach nicht ausreichend taugt. (Wer sich mit den Texten auseinander setzen will, sollte sich eine Synopse besorgen, wir hatte in der Ausbildung die "Synopse zum Münchener Neuen Testament" welche versucht, die Worte so gut es möglich ist auf deutsch widerzugeben, wie sie in den Urtexten bzw. in den ersten Latein- / Griechischübrsetzungen geschrieben wurden)
Ups - danke für den Hinweis. Ich habe bisher die Einheitsübersetzung immer bevorzugt. Das "Münchener Neue Testament" samt zugehöriger Synpose werde ich mir demnächst besorgen.

Dr.Manhattan wrote: Das bei manchen vorher bereits zitierte Johannesevangelium bietet zu dem noch andere Punkte, die es als historische Quelle am ungeeignetsten machen. Da es als letztes der vier kanonischen Evangelien geschrieben wurde, nämlich ungefähr 90-100 Jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu, (...)
Ich dachte bisher, es sei um 90 - 100 n. Chr. geschrieben worden, Du schreibst "90 - 100 jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung". Versehen oder Absicht?


Im übrigen ist der Thread irgendwie "zerschossen". Möglicherweise durch den Serverumzug bedingt?
"The most convincing proof for the existance of water ist thurst." Franz von Baader (1765-1841)

Dr.Manhattan
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Post by Dr.Manhattan »

Dr.Manhattan wrote: Das bei manchen vorher bereits zitierte Johannesevangelium bietet zu dem noch andere Punkte, die es als historische Quelle am ungeeignetsten machen. Da es als letztes der vier kanonischen Evangelien geschrieben wurde, nämlich ungefähr 90-100 Jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu, (...)
Ich dachte bisher, es sei um 90 - 100 n. Chr. geschrieben worden, Du schreibst "90 - 100 jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung". Versehen oder Absicht?

Jetzt hast du mich... war eher ein Versehen. 90 - 100 n. Chr.
Sorry....

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